Darüber spricht niemand mit einer Unverträglichkeit

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Was dir niemand mit einer Nahrungsmittelunverträglichkeit erzählt

Dass es Unverträglichkeiten gibt, wird immer bekannter. Selbst Ärzte werden für Unverträglichkeiten offener, auch wenn sie noch rar sind. Vielleicht gibt es sogar eine Person in deinem Bekanntenkreis, die ebenfalls eine Unverträglichkeit hat. Wahrscheinlicher ist, dass du mit deiner Unverträglichkeit alleine da stehst. Deshalb ist die erste Anlaufstelle mit Unverträglichkeiten meistens das Internet. Dort kannst du Gleichgesinnte finden, dich austauschen und dir Tipps holen wie du dein Essen organisierst und es mit dem Essen unterwegs am besten regelst. Auch FODMAP-arme, fructosearme, histaminarme, glutenfreie und laktosefreie Rezepte findest du genügend, um deinen Speiseplan für ein Jahr zu füllen.

Aber über was kaum jemand spricht: Dass Unverträglichkeiten auch den Kopf befallen. Dort stiften sie Chaos, in dem sie die Gedanken und Gefühle ergreifen. Viele Jahre habe ich mich mit fiesen Gedanken gequält, mich schlecht und verzweifelt gefühlt und wäre am liebsten nicht mehr aus dem Haus gegangen. Die Unverträglichkeiten minderten letzten Endes mein Selbstbewusstsein.

Das Gedankenkarusell lief schon morgens beim Aufwachen an.

Wenn ich mir nichts Verträgliches zum Essen vorbereitet hatte, nahm es besonders schnell Fahrt auf. Dann überlegte ich, woher ich den Tag über am besten etwas zu essen bekommen konnte. Diesen Stress lernte ich schnell zu unterbinden, in dem ich mir etwas Verträgliches vorbereitete. Besonders schlimm war es in der Zeit, in der ich weder etwas von meinen Unverträglichkeiten wusste noch dass meine Beschwerden mit dem Essen zusammen hingen. Dann wachte ich morgens auf und betete, dass ich von Bauchkämpfen und Toilettensprints verschont bleiben würde. Ich rätselte woher meine quälenden Verdauungsbeschwerden kommen könnten. Bei der Arbeit setze ich trotz heftigen Bauchschmerzen ein Lächeln auf, das über den Tag so verkrampft wie mein Bauch wurde. Nur damit keiner etwas bemerkt. Ich konnte und wollte mit den Kollegen nicht über Bauchkrämpfe, Durchfall und andere Verdauungsangelegenheiten sprechen. Und ich wollte nicht als Hypochonder oder Stressanfällig dastehen.

Und so drehte sich das Gedankenkarusell gnadenlos weiter:

Was denken die Kollegen, wenn ich heute schon wieder nicht mit zum Mittagessen gehe? Beim Italiener finde ich nichts auf der Speisekarte. Aber eigentlich will ich gerne Zeit mit meinen lieben Kollegen verbringen. Und so langsam habe ich das Gefühl, dass ich den Anschluss verliere. Heute Mittag habe ich kein Meeting, also wäre es nicht so schlimm, wenn ich auf der Toilette festhänge… Es wundert mich heute nicht mehr, dass die Kollegen womöglich dachten, dass ich keine Lust auf sie habe. Jedes Mal zögerte ich und entschied mich in letzter Sekunde nicht mitzukommen. Dazu mein verkrampftes Lächeln und gequälter Gesichtsausdruck boten ihnen sicherlich reichlich Material, um zu denken, dass sie mir lästig waren.

Wenn ein neues Projekt dazu kam, das am besten schon gestern fertig sein sollte, war das spätestens der Startschuss für Chaos in meinem Bauch. Das wurde mir erst bewusst, als ich allen Unverträglichkeiten auf die Spur gekommen war und nur noch Verträgliches gegessen habe.

Erleichtert war ich jedes Mal, wenn Feierabend war. Dann war Schluss mit der Schauspielerei. Das verdampfte Lächeln bekam ich fast nicht mehr weg. Nur eines dachte noch lange nicht an den Feierabend: Das Gedankenkarusell. Es drehte sich auf dem Heimweg immer weiter: Was soll ich einkaufen? Was soll ich überhaupt essen ohne Beschwerden zu bekommen? Was wird mein Freund denken, wenn es schon wieder trockenen Reis mit Zucchini gibt? Am besten treffen wir uns erst später, dann sieht er nicht was ich esse.

Wenn andere freudig ins Wochenende starteten, konnte ich mich kaum noch darauf freuen.

Dass ich nicht arbeiten und unterwegs essen musste, waren meine beiden Lichtblicke. Einladungen zu Freunden oder einer Party bedeuteten nur Stress für mich.

Was, wenn auf der WG-Party die Toilette besetzt ist und ich plötzlich Durchfall bekomme? Und was, wenn sie frei ist? Ich kann sie ja nicht stundenlang besetzen. Die anderen trinken literweise Bier und können ebenfalls schlecht auf die Toilette verzichten. Und was, wenn jemand meine Blähungen bemerkt? Bei 4 Grad kann ich nicht den ganzen Abend auf dem Balkon verbringen. Wenn ich nichts trinke, muss ich mir einen guten Grund überlegen, wenn mich jemand darauf anspricht.

Und der Geburtstag meiner Freundin im Restaurant wird der Alptraum! Ich muss mir auf jeden Fall ein Gericht abändern, denn in ihrem Lieblingsrestaurant gibt es nichts Verträgliches für mich. Was wird ihr neuer Freund denken? Und die anderen, die mich nicht kennen? Sie werden mich für schwierig halten und denken, dass mir die Gerichte nicht gut genug sind. Und wenn ich das Essen nicht vertrage, werde ich auf der Toilette mit Durchfall festhängen und jeder wird sich fragen, was ich da so lange mache. Naja, sie können es sich bestimmt denken…

Bei solchen Gedanken wundert es doch sicher niemand, dass mein Selbstbewusstsein sich immer mehr verkrümelte.

Ich wusste nicht, was mit mir los ist und woher meine Beschwerden kommen. Deshalb fühlte ich mich komisch und sonderbar. Als ich von den Unverträglichkeiten wusste, fühlte ich mich immer noch komisch und sonderbar. Denn ich kannte niemand anderen, der Unverträglichkeiten hat. Und wenn ich mich komisch fühle, nehmen mich andere auch so wahr. Jemand selbstbewusstes fühlt sich sicherlich nicht sonderbar. Oder er fühlt sich sonderbar und gut dabei. Aber er zieht sicherlich nicht wie eine Schildkröte seinen Kopf in seinen nicht vorhandenen Panzer und hofft, dass ihn keiner bemerkt.

Es ist auch nicht sonderlich selbstbewusst, sich ständig Gedanken zu machen, was die anderen denken, wie ich auf sie wirke und versuche meine Beschwerden zu überspielen. Ich werde zur Schauspielerin und meine eigentlichen Person verschwindet immer mehr hinter der Bühne. Ich sehe nicht mehr die schönen Dinge des Alltags und bemerke nicht, dass mich meine Kollegen mögen und sie sich wünschen würden, dass ich beim Mittagessen dabei bin.

Deshalb bin ich Schritt für Schritt aus dem Gedankenkarusell ausgestiegen.

Sich mit den Unverträglichkeiten anzufreunden und dahinter zu stehen passiert nicht von heute auf morgen. Jedenfalls bei mir nicht. Manchmal merke ich, dass ich doch wieder ins Gedankenkarusell eingestiegen bin. Oder erwische mich, dass ich aus Höflichkeit etwas Unverträgliches esse und mich hinterher ärgere. Dann heißt es tief durchatmen und da weiter machen, wo ich aufgehört und mich wohl gefühlt habe.

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